"Das soll der Start in unser Leben sein?"- Theaterabend am ESG
"Generation Wir" - so lautet der Titel des Theaterstücks, das die Theater-AG des ESG selbst geschrieben hatte und unter der Leitung von
Daniel Fais und Torsten Zander am 15. und 16. Juli in der Aula der Schule im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts mit dem "Chor Lecithin" aufführte.
"Generation Wir" - das sind die Jugendlichen, die um das Jahr 2006 geboren sind (natürlich auch vorher oder nachher) und während ihres Heranwachsens mit der Coronakrise (und nicht nur damit!) konfrontiert waren und sind. Doch schon vor Corona ist nicht alles so rosig, wie es vielleicht vermutet werden könnte. Väter, die betrunken im Fußballtaumel nicht einmal merken, dass bei der Ehefrau die Wehen einsetzen (Samira Metz als grölender Fußballfan und Pauline Strobel als werdende Mutter), Eltern, die sich hemmungslos streiten (Lisa Abramovic als völlig außer Kontrolle geratener Vater), Mütter, die lieber selbst am Handy hängen als sich mit ihren Töchtern zu unterhalten (Pauline Strobel und Helena Sailer) - sie alle lassen die Kinder verstummen. Dabei sind die Bedürfnisse so unterschiedlich wie die Kinder selbst: Da ist das eine Kind (Lea Burweger) das am liebsten von der Krankenschwester (Leni Hartmann) vertauscht worden wäre, weil die Kindheit eines anderen Kindes schöner war ("So mit Kinderturnen und Vorlesen"), da ist das andere Kind, das sich nichts sehnlicher wünscht als einen Bruder oder eine Schwester und sich im Kindergarten einen Freund zum Bruder macht (Felipe Oberleitner).
Auch in der Schule läuft es nicht gerade zum Besten, denn noch immer stecken einige Lehrerinnen und Lehrer in alten Denkmustern: Berenike Sawilla als zwar charmante, aber äußerst rückständige Französischlehrerin erklärt ihrer Schülerin: "Sprachen sind nichts für Dich", der Techniklehrer (Benjamin Stephan) meint im 21. Jh. immer noch, Mädchen könnten unmöglich in technischen Fächern auch nur annähernd Erfolg haben. Und da ist der Leistungsdruck, der schwer auf ihren Seelen lastet.
Dann kommt Corona (sehr eindrücklich inszeniert durch Eliz Bezdjian, Samira Metz, Emma Nohe und Sophie Wiedenroth, die bedrohlich in Schutzanzügen durch den Zuschauerraum auf die Bühne marschierten): Einsam werden die Jugendlichen, sie müssen auf Sport und Kontakte verzichten und unter den widrigsten Bedingungen am Fernunterricht teilnehmen. Mit Videoeinspielern wurde dem Publikum die Chronologie der Coronakrise in Erinnerung gerufen. In kleinen Videoclips zeigten sich die Schauspielerinnen und Schauspieler als Lernende am Laptop, verzweifelt bemüht, digital irgendwie mitzukommen beim Fernunterricht. Schließlich kommt der Großvater (Berenike Sawilla) und erklärt freudestrahlend, dass er soeben einen Urlaub auf Teneriffa gebucht hat, schließlich sei er ja geimpft - die Enkelin (Helena Sailer) hat zu diesem Zeitpunkt nicht die geringste Aussicht auf einen Pieks, der ihrer Isolation ein Ende setzen würde.
Bleibt noch der Vorwurf, die jungen Leute hätten keine Ideale, keine Ziele und würden sowieso nur am Handy hängen. Sehr eindrücklich widersprachen die Dargestellten. Auf Plakaten, die sie dem Publikum entgegenhielten, war zu sehen,wofür sie sich einsetzen: Frieden, Gerechtigkeit, Vielfalt, Freiheit, nicht zuletzt "Fridays for Future". Corona, Klimakatastrophe, Krieg in der Ukraine - "Das also soll der Start in unser Leben sein?", so wird im Schlussmonolog (Sophie Wiedenroth) gefragt. Damit hielten die Jugendlichen der Gesellschaft, ihren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie den politischen Kräften den Spiegel vor - diese Generation ist weder larmoyant noch egoistisch oder oberflächlich - sie ist aus dem Blick geraten, sie will ge- und erhört werden, weil den jungen Menschen klar ist, dass sie viele Probleme werden lösen müssen, weil sie wissen, welche Verantwortung ihnen aufgebürdet wird.
Durch die Videoeinspieler (hervorragend und punktgenau durch die Techniker Alexander Wenzel und Simon Mader auf die Leinwand gezaubert) und die Songs des "Chor Lecithin" unter der Leitung von Simon Bahlinger war es ein temporeicher, intensiver Theaterabend, der viele - das war nach dem großen Applaus zu erleben - zu Diskussionen und zum Nachdenken anregte, nicht zuletzt durch die sehr durchdachte und eindrückliche Inszenierung von Daniel Fais und Torsten Zander.
In weiteren Rollen waren zu sehen: Eliz Bezdjian, Emma Nohe, die das einladende Plakat gestaltet hatte, und Sophie Wiedenroth, Fabienne Weber musste leider wegen einer Erkrankung ersetzt werden.
Christine Kutzner-Apostel