Agiles Börsenprojekt des Wirtschaftskurses J1
Wie schon erwähnt, bietet sich das agile Projektmanagement im Zusammenhang von Bildung an. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass hier insbesondere Skills gefördert werden, die als zentral für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erachtet werden: Kreativität, Kollaboration, Kommunikation, kritisches Denken, Selbstorganisation.
Bezogen auf das Börsenprojekt des Wirtschaftskurses J1 lag die Herausforderung darin, ein „einführendes Informationsangebot zum Thema Börse für Jugendliche“ zu erstellen. Das Ziel war bewusst vage formuliert und sollte im Projektprozess präzisiert werden. Zur Verfügung standen insgesamt 16 Doppelstunden, die sich über 3 Wochen verteilten.
In der ersten Doppelstunde erhielten die Schüler/innen eine Einführung in das agile Projektmanagement in der „Scrum-Variante“. Hier schalteten sich Boris Rojs und Katrin Moor von der Siemens Professional Education (SPE) Karlsruhe über MS Teams zu, um den Schüler/innen die Scrum-Herangehensweise näherzubringen. Ursprünglich war angedacht gewesen, sie ans ESG in den Kurs einzuladen. Corona-bedingt musste die Online-Variante herhalten, was erstaunlich gut funktionierte und eine lebhafte Diskussion mit den Schüler/innen ermöglichte.
Bei Scrum sind verschiedene Elemente zentral:
1. Zunächst wird die Problemstellung formuliert und das Produkt so umschrieben, dass der Nutzen aus Kundensicht deutlich wird. Bezogen auf das Projekt wurde also geklärt, warum ein „einführendes Informationsangebot zum Thema Börse“ wünschenswert ist und wo der „Mehrwert“ für Jugendliche liegt, die das Informationsangebot nutzen. Dieser 1. Schritt dient der Sinnstiftung für die Projektteilnehmer und wird in der Scrum-Terminologie als „user story“ bezeichnet.
Es kristallierte sich heraus, dass das geringe Börsenwissen der Deutschen im Allgemeinen sowie die momentan quasi nicht-vorhandene Verzinsung von Einlagen auf Sparbüchern als Begründung für das Informationsangebot Börse herhalten konnte. Für die Teilnehmer des Wirtschaftskurses diente darüber hinaus als Motivation, dass sie momentan am „Planspiel Börse“ teilnehmen und auch diesbezüglich ihr persönliches Börsenwissen erweitern konnten. Ziel des Planspiels Börse ist es, aus einem virtuellen Depot mit 50 000 € eine möglichst große Rendite herauszuholen.
Was das Produkt anging, einigten sich die Schüler/innen des Kurses schnell darauf, dass sie ein Internetangebot erstellen wollten und keine gedruckten Broschüre. Nachdem verschiedene Varianten erwogen worden waren, verständigten sich die Schüler darauf, ihr Angebot in Form eines Wikis auf dem ESG-Moodle zu erstellen. Es ist hier (passwortgeschützt) einsehbar unter:
https://04165384.moodle.belwue.de/moodle/course/view.php?id=829
2. Im Anschluss an die Festlegung der „Form“ wurden Unterthemenbereiche des Themas Börse gesammelt und recherchiert, die bearbeitet werden sollten, so z.B. „gängige Börsenprodukte“, „Chancen und Risiken einer Geldanlage an der Börse“, „verschiedene Analysemethoden für Börsenprodukte“, „Kosten für den Handel mit Börsenprodukten“. Alles wurde in einer to-do-Liste vermerkt; in der Scrum-Begrifflichkeit „Backlog“ genannt.
3. Bei Scrum sind feste Zeiteinheiten, so genannte „Sprints“, entscheidend, zu deren Ende dem Auftraggeber jeweils die Ergebnisse präsentiert werden – unabhängig davon, ob diese angefangen, halbfertig oder komplett fertiggestellt sind. Der Auftraggeber gibt den einzelnen Teilnehmern bzw. Teams dann Rückmeldung, ob das Ergebnis weiterbearbeitet werden soll, angepasst werden muss, verworfen werden soll oder als abgeschlossen behandelt werden kann.
Nicht das Streben nach Perfektion ist zentral, sondern die Anpassungsfähigkeit und das schnelle Feedback zu Zwischenergebnissen. Die Vorgehensweise wird so lange wiederholt, bis das Ergebnis den Anforderungen des Auftraggebers entspricht. Im Projektverlauf wurden insgesamt 3 Sprints unterschiedlicher Länge mit den jeweiligen Feedbacks zum „Produkt“ (im Scrum-Sprech: „Sprint Reviews“) durchgeführt.
4. Um alle Projektteilnehmer über die Tätigkeiten der jeweils anderen ins Bild zu setzen, fand zu Beginn jeder Doppelstunde ein kurzes „Stand-up“-Meeting statt, wo jeder die anderen kurz informierte, woran man gerade arbeitete. Es stellte sich heraus, dass den Schüler/innen die Abgrenzung der Themengebiete untereinander nicht immer leicht fiel. Der Kurs hatte sich in 3 Teams aufgeteilt, die jeweils verschiedene Unterthemen bearbeiteten. Hier war teamintern und -übergreifend viel Kommunikation und Zusammenarbeit nötig, um Doppelbearbeitungen und Überschneidungen von Themengebieten zu vermeiden.
5. Um den Projektfortschritt zu dokumentieren und visualisieren, wurde ein Scrum-Board genutzt. Damit ist eine Art Tabelle mit verschiedenen Spalten gemeint. Links standen die „User-Story“ und das „Backlog“; mittig das Sprint-Backlog (= die Aufgaben, die speziell im nächsten Sprint bearbeitet werden sollten), eine Spalte „in progress“, in der Aufgaben vermerkt wurden, die gerade in Bearbeitung waren, sowie ganz rechts „done“ für die fertig erledigten Aufgaben.
Alle Einzelaufgaben waren auf Post-its vermerkt worden, die im Projektverlauf mit der Zeit von ganz links nach rechts wanderten, also in Richtung „done“. Spannend war es natürlich, ob es den Schüler/innen gelingen würde, das Projekt in der vorgegebenen Zeit abzuschließen. Es zeichnete sich jedoch bereits in der vorletzten Stunde ab, dass die meisten Post-its bereits rechts aufgeklebt waren und das Projektziel sicher erreicht würde.
6. Ein extrem wichtiges Element von Scrum ist die regelmäßige Reflektion über die Arbeitsweisen in den Teams, um eine kontinuierliche Prozessverbesserung zu erreichen. Am Ende jedes Sprints steht also neben der Sprint Review (zur Erinnerung: Hier werden die Zwischenergebnisse begutachtet) eine Retrospektive. Hier wird darüber reflektiert, was gut lief, was förderlich für die Zusammenarbeit war, wo es Hindernisse gab, wie diese beseitigt werden können, was als bewährt beibehalten und was verändert werden sollte.
Boris Rojs hatte sich bereits bei der Projekteinführung angeboten, eine solche Retrospektive mit den Schüler/innen durchzuführen, und schaltete sich bei einer der zwei durchgeführten Retrospektiven nochmals online zu. Es war beeindruckend zu sehen, wie durch Nachfragen konkrete Verbesserungsmöglichkeiten deutlich wurden. So beklagte sich etwa ein Schüler darüber, dass er seine Aufgabe nicht weiterbearbeiten konnte, da er auf die Vorarbeit eines anderen Schülers angewiesen war. Hier fragte Herr Rojs nach, ob gegenseitige Abhängigkeiten bei der Aufgabenbearbeitung aufgeschrieben und visualisiert worden waren. Ein weiteres Beispiel: Ein Schüler erzählte, dass er sich von Stunde zu Stunde persönliche Ziele gesetzt hatte, die er erreichen wollte. Hier wurde nachgefragt, ob die persönlichen Ziele den anderen jeweils kommuniziert worden waren (zum Beispiel im Stand-up). Insgesamt fiel sehr positiv auf, wie offen und ehrlich die Schüler/innen ihre Arbeitsweise mit Herrn Rojs besprachen.
7. Last not least soll auch der Spaß bei solche einem Projekt nicht zu kurz kommen. Insofern durften die Schüler/innen zu Beginn formulieren, was sie sich wünschten, um gerne an dem Projekt zu arbeiten. Dies wurde als „definition of fun“ am Scrumboard festgehalten. Die Schüler/innen wünschten sich, bei der Arbeit Musik hören zu dürfen sowie ihr Handy nutzen zu können, was ihnen gewährt wurde. Beides wurde in der Auswertung als sehr motivierend beurteilt.
8. Den Abschluss bildete der Projektabschluss mit Präsentation der Einzelthemen, der „Begutachtung des Endprodukts“, einer Evaluation des Projekts in Form eines Online-Fragebogens sowie einem gemeinsamen Ausklang mit Lebkuchen, Spekulatius und Mandarinen.
Insgesamt beurteilten die Schüler/innen das Projekt als großen Erfolg. Besonders positiv wurde das Einbringen eigener Ideen, die Teamarbeit sowie das selbstständige und abwechslungsreiche Arbeiten empfunden. Einige meldeten zurück, dass sie Aspekte des Projektmanagements für ihr weiteres Lernverhalten übernehmen wollen, so etwa, dass man sich zunächst einen Überblick über die anstehenden Aufgaben verschafft und diese dann nach Prioritäten ordnet.
Auch für mich als Lehrer war das Projekt sehr interessant, da die selbstorganisierte Arbeitsweise der Schüler/innen bedeutet, dass man sich deutlich zurücknehmen muss und Vertrauen in die Arbeitsweise der Schüler/innen haben muss. Als Lehrer fungierte ich hier nicht in der Rolle als Stoffvermittler, sondern primär als Arrangeur von Lernprozessen, Feedbackgeber und Lerncoach.
An dieser Stelle sei allen gedankt, die zum Gelingen des Projekts beigetragen haben. Ein besonderer Dank gilt Boris Rojs für sein außerordentliches Engagement. Herr Rojs betreut in der Siemens Professional Education (SPE) Karlsruhe als „Lernprozessbegleiter“ duale Studierenden in agilen Projekten, sowie Katrin Moor, die sich in der SPE mit Bildungsprojekten beschäftigt.
Ein herzliches Dank gilt auch Arlene Heimpel von der Sparkasse Kraichgau, die den Schülern die Broschüren „Basiswissen Börse“ zur Verfügung gestellt hat, die als Inspirationsquelle für die Aufgabenfindung dienen konnten. Frau Heimpel fungiert darüber hinaus als Vermittlerin und Ansprechpartnerin für das Planspiel Börse.
Frieder Elsäßer, Wirtschaftslehrer am ESG